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Die Meinung anderer über Tacticon

www.spiele.de schreibt

Tacticon: Schach für das
dritte Jahrtausend?

In der Spiele-Szene gibt es so etwas wie eine Grundregel: Schach-Varianten kommen und gehen, d.h. sie gehen vor allem recht schnell wieder. Das hat zwei Gründe: Die Schachspieler rümpfen die Nase, weil sie überzeugt sind, es gäbe nichts besseres als &laqno;ihr» Schach, und die meisten anderen Spielerinnen und Spieler zeigen wenig Interesse, weil sie denken, so etwas schachähnliches sei viel zu komplex und kompliziert. &laqno;Tacticon» von Frank Bucher hat Chancen, seinen Weg trotzdem zu machen.

Spiele-Erfinder suchen in aller Regel den schnellen Erfolg mit hohen Auflagezahlen, ihre Spiele sollen in kurzer Zeit gut vermarktet werden; und vielleicht hat man ­ in seltenen Fällen ­ das Glück, dass das Spiel dann für einige Jahre im Sortiment des Verlags und des Handels bleibt.

Bei Frank Bucher ist die Ausgangslage eine andere: Er hat Geduld. An seinem Projekt &laqno;Tacticon» arbeitet er seit bald zehn Jahren. Nun ist das Strategiespiel für zwei Personen soweit ausgereift, dass er langsam daran geht, sein Spiel da und dort in kleinen Kreisen vorzustellen.

Der Tüftler Frank Bucher lebt in Flamatt, zwischen Bern und Fribourg. Ursprünglich lernte er den Beruf des Schlossers, danach bildetet er sich aus zum Programmierer und Informatiker. Als selbständiger EDV-Spezialist betreut er bei Kundenfirmen Systeme und Grossrechner. Diese Hintergrund-Information ist wichtig, denn der Informatiker Bucher hat von seinem ursprünglichen Schlosserberuf den Hang zur handwerklichen Präzisionsarbeit beibehalten ­ das zeigt sich auch bei Buchers &laqno;Vertikado», dem Spiel mit dem Turm aus runden Holzstäbchen, das am 4. Januar an dieser Stelle vorgestellt wurde.

Bei der Entwicklung von &laqno;Tacticon» standen für Frank Bucher zwei Aspekte im Vordergrund: &laqno;Erstens eine brauchbare Alternative zum Schach zu schaffen und zweitens, eine spezielle Testmöglichkeit für intelligente Software zu entwerfen». Während man im Schach leicht die Abstraktion früherer Feudalsysteme erkennen kann, ist &laqno;Tacticon» ein Versuch, das heutige Gesellschaftssystem in einem Spiel dazustellen. In Regeln und Design finden sich zahlreiche Allegorien auf Sozialmechanismen und elementare Gegebenheiten, die sowohl Real- wie auch Ideal-Charakter haben.

Das besondere an &laqno;Tacticon» ist die sechseckige Spielfläche mit 97 Feldern. Die Spielfelder bestehen aus in Linien angelegten Kreisen, die sich jeweils zu einem Viertel des Kreisdurchmessers überlagern, was bedeutet, dass alle Spielfelder von vier angrenzenden Feldern angeschnitten werden und dass somit eine Figur nicht nur das Feld belegt, auf dem sie steht, sondern auch vier angrenzende Felder beherrscht.. Vier gleichmässig auf der Fläche eingetragene Felder ­ Origon genannt ­ haben eine besondere Bedeutung. Gegenüber den 64 schwarzen und weissen Feldern des Schachbretts ergeben sich aus der Felderanordnung von &laqno;Tacticon» weit mehr Spielmöglichkeiten.

Gespielt wird mit zweimal zehn Figuren, die unterschiedliche Stärken und Fähigkeiten und doch auch gewisse Gleichwertigkeiten haben. Die Figuren können in drei Kategorien eingeteilt werden: Menschen, Werkzeuge und Waren; ihre Bezeichnungen sind dem Griechischen entnommen. Gyna, Andron und Pai symbolisieren die Menschen (Frau, Mann und Kind). Die Werkzeuge heissen Rota (Rad), Scuto (Schild), Colum (Säule) und Telo (Geschoss). Vom Pragma ­ am ehesten zu übersetzen mit &laqno;dem Nützlichen» ­ sind gleich drei im Spiel, denn mit den Pragmas kann man in bestimmten Zügen verlorene andere Figuren wieder ins Spiel bringen oder besondere Punkte erzielen.

Die Figuren können in unterschiedlichen Richtungen und Weiten ziehen, andere Figuren bedrohen und schlagen. Dabei gelten jedoch bestimmte ­ man sogar sagen ethische ­ Grundregeln: Gyna, Andron und Pai können sich gegenseitig nicht schlagen. Auch von den anderen Figuren kann keine eine Figur der gleichen Art schlagen. Von ganz besonderer Bedeutung ist: Jede verloren gegangene Figur kann durch eine bestimmte Zugfolge wiedergewonnen und neu ins Spiel gebracht werden. Zudem kann man Figuren, anstatt sie beim Schlagen vom Feld zu stellen, auch nur verbannen, d.h. auf ein beliebiges Feld versetzen.

Drei Spielziele sind vorgeben. Grundsätzlich geht es darum, möglichst effizient und möglichst lange Zeit Punkte zu sammeln. Theoretisch könnte &laqno;Tacticon» unendlich lange gespielt werden, darum einigen sich die beiden Spieler vor Spielbeginn darauf, wieviele Punkte man für einen Sieg erzielen muss. Drei Punkte kann man gewinnen, wenn man eines der vier besonders gekennzeichneten Felder (Origon) besetzen kann. Einen Punkt erzielt man, wenn man ein gegnerisches Pragma schlägt und vom Feld nimmt. Und ebenfalls einen Punkt erhält man, wenn man eine Personenfigur (Gyna, Andron, Pai) beim Schlagen nicht vom Feld stellt, sondern sie lediglich auf ein beliebiges Feld verbannt. In zwei Fällen endet das Spiel jedoch sofort.: Wenn alle vier Origone von den Figuren eines Spielers besetzt sind und/oder wenn eine Partei zwei der drei Personenfiguren verloren hat, also nur noch Andron oder Gyna oder Pai auf dem Feld stehen hat. Gewinner wird in beiden Fällen der Spieler, der beim Abbruch des Spiels die höhere Punktzahl auf seinem Konto hat.

Der Spielmechanismus sieht vor, dass es keine vordefinierte Ausgangsstellung für die Figuren gibt. Die beiden Spieler stellen ihre Figuren abwechselnd, aber in einer beliebigen Folge der Figurenart, auf das Spielfeld. In der so entwickelten Grundstellung, wenn alle Figuren auf dem Spielfeld eingesetzt sind darf keine Figur auf einem Origon stehen und keine Figur darf eine andere bedrohen. Das heisst, man steht vor einer neutralen Ausgangslage und erst jetzt beginnt das eigentliche Spiel. Pro Spielzug kann man jeweils zwei Aktionen ausführen, an denen zwei Figuren beteiligt sein müssen. Dabei kann eine Figur auf ein beliebiges freies Feld gezogen werden, z.B. um eine Stellung zu erreichen, mit der man eine gegnerische Figur bedrohen kann. Nur beim Schlagen sind die Figuren jeweils an einen, ihren Eigenschaften und &laqno;Persönlichkeit» bestimmten Modus gebunden. Diese Kräfte sind von Figur zu Figur unterschiedlich definiert nach Ausrichtung der Figur (Stellung, Blickrichtung) und möglicher Zugweite, resp. Richtung (waagrecht, senkrecht, diagonal). ­ Was hier recht kompliziert klingt, ist in Tat und Wahrheit wenn man vor dem Spiel sitzt recht einfach. Um zu begreifen, wie die Figuren agieren, braucht man nicht mehr Aufwand als etwa zum lernen und begreifen der Spielregeln eines mittelschwierigen Brett- oder Kartenspiels. Was die Komplexität von &laqno;Tacticon» ausmacht, das ist das Denken und Überlegen im Spielverlauf sowie das Analysieren von Spielsituationen und möglichen Folgezügen. Aber genau das ist der Reiz hinter diesem Spiel.

&laqno;Tacticon» ist (noch) nicht im Handel zu kaufen. Frank Bucher hat einige Einzelexemplare sowie eine Miniauflage in Carton zum Selbstzusammenbauen. Die &laqno;Prototypen »sind kostbare Stücke mit handgefertigten, geschmiedeten Metallfiguren, die in einer eigens gefertigten Holzschatulle geliefert werden. Dabei ist der Deckel der Schatulle das Spielfeld, im Innern können die Figuren in auf Mass gemachten Fächern gepolstert versorgt werden. Diese Handexemplare sind reine Sammlerstücke (Preis auf Anfrage). Von der Kleinauflage in Carton sind bei Frank Bucher noch einige Exemplare zu haben. Sollte sich in nächster Zeit eine genügende Nachfrage ergeben, so erwägt Frank Bucher, eine weitere Ausgabe aufzulegen.

&laqno;Tacticon» ist ein Spiel für die Zukunft. Bereits bestehen auch die Grundlagen für eine elektronische Version, und es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis &laqno;Tacticon» online auf Internet zu finden sein wird. Frank Bucher hat genaue Vorstellungen, wie sein Spiel die Spielerinnen und Spieler erreichen wird. Mit seinen Qualitäten, dem vielfältigen Spielmechanismus und den doch einfachen Grundregeln hat &laqno;Tacticon» alle Voraussetzungen, dass der langfristige Traum des sympathischen Erfinders aus dem Röstigraben einmal zur Wirklichkeit wird: Als er kürzlich in einer Spielrunde sein Werk vorstellte, meinte Frank Bucher, &laqno;Tacticon» könne doch das Schach für das dritte Jahrtausend werden ...

Felix Thomann

Spielkasten Kurzkritik

Spielname:

Tacticon

Erfinder/Autor:

Frank Bucher

Verlag:

Eigenverlag Frank Bucher CH-3175-Flamatt

Preisgruppe:

Ein handgefertigtes Sammler-Exemplar kostet rund 950 Franken, der Preis für die Carton-Ausgabe zum Selbst-Basteln liegt noch nicht fest.

Zahl der Spieler:

Zwei Personen

Empfohlenes Alter:

Erwachsene

Dauer:

ImPrinzip unendlich, mit vorheriger Abmachung etwa eine Stunde oder mehr

Einfach/schwierig (1-6):

6 - komplexe Regeln, trotzdem leicht zu lernen

Glück bis Können (1-6):

6 - reines Taktik- und Strategie-Spiel der höchsten Schule

Verpackung:

Handexemplare in massgearbeiteter Holz-Schatulle

Spielmaterial:

zweimal zehn Figuten handgefertigt aus Metall

Spielregel:

ausführlich, klar verständlich, illustriert, mit Diskette für DOS-Anwender

Originalität:

Schön gestaltetes, originelles Strategie-Spiel

Spielreiz:

Noch viel besser als jedes Schach!

Felix Thomann

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